Heute vor 112 Jahren legten über 20.000 Arbeiter:innen, v.a. jiddischsprachige junge Frauen* ihre Arbeit nieder. Der als “Aufstand der 20.000” bezeichnete Generalstreik in der New Yorker Hemdblusenindustrie war der bis dato größte Frauenstreik der US-Geschichte und sollte elf Wochen andauern.
Obwohl dieser durch unterschiedliche Vorfälle ausgelöst wurde, hatten die Streikenden viele Forderungen gemein: Verbesserung der Löhne, Arbeitszeiten und Sicherheit am Arbeitsplatz. Weitere zentrale Punkte waren die Beendigung von Demütigungen am Arbeitsplatz, wie unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche, Drohungen und Eingriffe in die Privatsphäre, unter denen v.a. Frauen* litten.
Die seit Sommer 1909 stattfindenden wilden Streiks hatten nur mäßigen Erfolg und wurden von Unternehmen, Polizei und Gerichte massiv bekämpft. Schläger wurden angeheuert um Streikende zu misshandeln, oft mit Hilfe von Polizisten, die die Streikenden dann unter dem Vorwurf der Körperverletzung festnahmen. Vor Gericht sahen sich die Streikenden mit Richtern konfrontiert, die die jungen Frauen beschimpften. “Sie streiken gegen Gott und die Natur” schimpfte ein Richter. Geldstrafe oder Einweisung ins Arbeitshaus lautete das Urteil.
Als am 22. November Tausende von Frauen sich zur Diskussion über die Idee des Generalstreiks versammelten, viele dabei zur Vorsicht mahnten, ergriff Clara Lemlich Shavelson frustriert das Wort und erklärte in einer leidenschaftliche Rede: “Ich bin ein arbeitendes Mädchen, eine von denen, die gegen unerträgliche Bedingungen streiken. Ich bin es leid, den Rednern zuzuhören, die in allgemeinen Begriffen sprechen. Wir sind hier, um zu entscheiden, ob wir streiken sollen oder nicht. Ich stelle den Antrag, einen Generalstreik auszurufen – und zwar jetzt.”Sie heizte das Publikum an und unisono verpflichtete sich die Menge, den Generalstreik zu unterstützen, indem sie einen gesungenen, weltlich angepassten hebräischen Schwur aufsagte. Am nächsten Morgen gingen ca. 15.000 Arbeiterinnen auf die Straße, bis abends waren es über 20.000 an. Einigen Schätzungen zufolge beteiligten sich während der elfwöchigen Dauer des Streiks fast dreißigtausend Arbeiterinnen und Arbeiter an dem Ausstand, von denen 90 Prozent jüdisch und 70 Prozent Frauen waren.
Nach elf Wochen Aufstand konnte zwar kein vollständiger Sieg errungen, doch bedeutende Erfolge erzielt werdem: Einführung der 52-Stunden-Woche, mindestens 4 bezahlte Feiertage pro Jahr, keine Diskriminierung von Gewerkschaftstreuen, kostenlose Bereitstellung von Werkzeugen und Materialien, gleichmäßige Aufteilung der Arbeit in der arbeitsarmen Zeit und Lohnverhandlungen mit den Beschäftigten.
Die Streikenden setzten zwar nur einen Teil ihrer Forderungen durch, aber der Aufstand löste eine fünf Jahre andauernde Revolte aus, die die Bekleidungsindustrie zu einem der am besten organisierten Berufe in den Vereinigten Staaten machte.
Es war also die Hartnäckigkeit und Solidarität der jungen Streikenden, die den Grundstein für die industrielle Gewerkschaftsarbeit in der Bekleidungsindustrie legte und die überwiegend männliche Führung der “needle trades” und der American Federation of Labor zwang, ihre Vorurteile gegen die Organisierung von Frauen zu revidieren.
Obwohl während des Streiks ein gewisses Maß an gegenseitigem Misstrauen auch unter den vorwiegend weiblichen Organisationen der Steikenden herrschte, brachte die eingegangene Allianz eine neue Perspektive hervor, die Klassenbewusstsein und Feminismus verband, die man später “industrieller Feminismus” nennen sollte.
Beitragsbild: Streikpostens während des Aufstands in New York.